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Ich muss zugeben: Das dritte Trimester hat mich eiskalt erwischt. 


Ich erinnere mich noch an eine Instagrammerin, die nach zwei Fehlgeburten endlich schwanger wurde und dann kurz vor dem Entbindungstermin zufrieden in die Kamera lachte: „Wow, ich dachte jetzt am Ende würde es sehr anstrengend werden. Aber ich bin topfit“, während sie ein paar Kurzvideos von ihrem Hanteltraining mit Kugelbauch veröffentlichte. 


Fehlgeburten hatte ich noch nie, aber das dritte Trimester würde bei mir bestimmt genauso sein. Ich bin ja schließlich sehr sportlich, gesund und lebensfroh. 


Tja, es muss so etwa um die 30. SSW gewesen sein, als ich bemerkte, dass ich nicht mehr gut zu Fuß bin. 

Mein Bauch erhärtete sich mit jedem Schritt mehr und zog mich wie eine Bowlingkugel nach unten. 

Das erste CTG bestätigte meine Beschwerden: „Da sind einige Vorwehen zu viel zu sehen“, entgegnete meine Frauenärztin. 

„Sie müssen sich nun schonen.“ 


Seitdem sitze ich die meiste Zeit abwechselnd auf Sofa, Bett und Stuhl, gehe im Grannymodus Treppen hoch und runter (von denen es hier einige gibt und keinen grannygeeigneten Sesselfahrstuhl, Anm.d. Redaktion) und kämpfe immer mal wieder gegen eigene Dämonen an, weil 


a) ich nichts zutun habe, da ich fast nichts tun kann. Also habe ich außergewöhnlich viel Zeit zum Nachdenken und Verrücktwerden, und


b) ich mir meine Fitness zurückwünsche und mir meine lang ersehnte freie Zeit im Mutterschutz wirklich anders vorgestellt habe. 


Die Herausforderungen erwischen uns immer genau da, wo noch Bedarf zum Wachstum besteht, nicht wahr ;) 

Alles andere hätte mich ja nicht gefordert. VERSTEHE. 


Also vergingen einige Stunden und Tage, in denen ich absolut nicht wusste, wie und mit was ich die neue gähnende Leere füllen könnte. 

Ich habe so viele Hobbys, aber für jedes braucht man entweder einen Kreislauf, der nicht bei jeder Handbewegung in den Keller fährt oder ein Konzentrationsvermögen, das sich nicht durch Ersteres ablenken lässt. 

Von der Fähigkeit Stehen und Gehen zu können ganz zu schweigen. 


Die meiste Zeit verbrachte ich also erst einmal mit Fernsehen im depressivanklingenden Selbstmitleidsmodus, während draußen das Wetter umschwang und das Grün der Bäume und Pflanzen vor meinem Fenster zurückkam. Wie gerne wäre ich rausgegangen! Spazieren, ins Café, ein Bummel durch die Stadt. 

Endlich Zeit für all meine kreativen Projekte, für Videos und Fotos, fürs Klavier, für Bücher und Texte, für neue Rezepte und Strickprojekte, für Blogbeiträge und meine Nähmaschine. 


Stattdessen musste ich lernen, mich auf die Situation einzulassen und meinen Tagesablauf völlig neu zu gestalten. So neu, wie ich ihn noch nie gestalten musste. 

Vieles hat mich dabei an die Pandemie erinnert. 

Eingesperrt zuhause und die meiste Zeit allein. 

Das Ganze völlig unvorbereitet und vor allem ablehnend. 


Die Pandemie habe ich dabei rückblickend sehr gut überstanden. Ach was, ich habe die Zeit ziemlich genossen!

Tanzend in der Küche, während neu ausgesuchte Rezepte in the making waren, oder zu einem Glas alkoholfreien, eiskalten Hugo und schwarzer Schokolade habe ich am Samstagabend Bücher durchgewälzt, eigene Ideen malerisch auf Öl und Acryl umgesetzt, zuvor noch alle tausend Konstanzer Schwäne am Bodensee filmisch festgehalten, am See alleine gepicknickt, neuen Lidschatten ausprobiert, an einem Exposé für meine Promotion über Persephone geschrieben (hat nie funktioniert btw), mein erstes Strickprojekt fertiggestellt, alte Lieder auf Klavier aufgefrischt, eigene Tapas gemacht und auf meinem roten Perserteppich mit Rotwein viel zu schnell gegessen, während mein Laptop nostalgisch romantische Playlists abspielte und ich beim anschließenden Spaziergang in der Abendsonne eine Zigarette am Bodensee rauchte (dont tell mum).





Nun war es zwar ähnlich einer Pandemiesituation, aber dabei hatte man quasi auch tatsächlich Corona.


Es hat etwas länger gedauert, als mir eigentlich lieb ist, aber ich habe mich langsam wieder akklimatisiert. Es ist mir dabei wichtig zu erwähnen, dass ich dabei immer wieder der Versuchung widerstehen musste, mich selbst noch mehr fertigzumachen. 


„Na toll, schon wieder ein Tag und du lagst nur faul rum.“ 

„Heute wolltest du doch zumindest diese drei Dinge erledigen und was hast du geschafft? 15 Minuten lesen, wow.“

„Heute mal nur duschen und kochen, und dafür ganze 7 Stunden. Was ist bloß los mit dir.“ 


Sich selber noch mehr runterzuziehen, wenn es einem eh schon schlecht geht und man für alles gefühlte zehn Anläufe und Runden mehr braucht als sonst, liegt sehr nahe. Aber ich habe bewusst versucht, lieb zu mir zu sein. 

Verständnis auch für meine Psyche zu haben, nicht nur für meinen Körper. 

Ich muss nicht alles direkt perfekt machen und ich habe noch genug Zeit, um alles machen zu können, auch wenn ich meine komplette Zeit gerade scheinbar in die Tonne kippe (was nicht stimmt). 


Schlimm genug, dass es mir schlecht geht. 

Ich brauche nicht noch einen judgy Antreiber in meinem Kopf, dem nichts gut und schnell genug ist. 


Und so: Tag für Tag für Tag, Woche für Woche für Woche, wurde es immer ein klein wenig besser. 


Ich habe sogar ein paar neue Dinge für mich entdeckt und gelernt: Zum Beispiel Setzlinge. 

(Passte perfekt zu meiner Situation. Ich musste nur ein Mal kurz einen Samen in etwas Erde schieben und mit ein wenig Wasser sprießte da ganz von alleine ein Pflänzchen. Produktiv sein, ohne irgendwas wirklich selbst machen zu müssen, ist perfekt für depri-gestimmte Schwangere, hab ich gemerkt.)

Also kletterte ich jeden Morgen aus dem Bett, ließ die Rollos durch Alexa hochwandern und begutachtete mein Werk: Juhu, wieder ein Stück gewachsen!





Und dann war da ja noch das Stricken. 

Auf intellektueller Ebene eher wenig herausfordernd, aber zumindest beschäftigt man sich zur Abwechslung mal nicht mit den Augen mit Fernsehen. 

Also strickte ich für Freunde, die ebenfalls ein Baby erwarten, ein Jäckchen und fing dann mit einer Babymütze für unser eigenes Kind an. 


Stricken ist toll, vor allem, wenn man immer wieder neue Dinge ausprobiert. 

Ich glaube, Häkeln würde mir noch mehr taugen. Das kommt nun als Nächstes, habe ich mir vorgenommen. 


Ich bestellte ein süßes Walbild von Malen nach Zahlen für das Kinderzimmer und plante jeden Tag erneut, dass ich morgen ganz bestimmt mit einem eigenen Acrylbild starten würde. 


Ich erstellte Pinterestboards, las über Katharina II, drehte mit letzter Kraft einige Videos im Sitzen, hatte seitdem keine Kraft mehr, sie mir anzusehen und zu schneiden, kaufte mir ein neues Fahrrad, nur um zu merken, dass ich aufgrund der Sturzgefahr vielleicht doch lieber nicht Fahrrad fahren würde (also dann erst so in 3 Jahren wieder, super investiertes Geld), backte im Schneckentempo Pizza mit eigenem Hefeteig, fuhr mit meinem Partner in einige Restaurants und empfing meine Freunde zuhause am Küchentisch. 








Ich bin gespannt, wie schlimm das Wochenbett wird. ;) 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es NOCH herausfordernder wird ahaha 



Einen schönen Frühling wünsche ich!


Lilith






















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ÜBER LILITH

Willkommen auf meinem Blog! 

Ich bin Lilith Sander, 29 Jahre alt und habe in Bonn, Paris und St. Andrews Literatur studiert. 

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